Der moralische Triathlon Teil 3: „Die Tour der 1000 Brücken“

960 km Laufen, 850 km Schwimmen und 7000 km Radfahren – der „moralische Triathlon“ des Liedermachers Heinz Ratz geht in die dritte und entscheidende Etappe.

Was zunächst nach einem sportlichen Rekordversuch der Superlative klingt, hat einen durchaus ernsten und politischen Hintergrund: denn Ratz läuft und schwimmt und radelt nicht nur, er gibt während seiner Touren jeden Abend Konzerte, sammelt Spenden und thematisiert Wahrheiten, die gerne hinter die blankpolierten Fassaden der Gesellschaft weggedrückt werden. Ob es Obdachlosigkeit, Artenschutz oder wie jetzt: einen menschlichen und gerechten Umgang mit Flüchtlingen betrifft: die allabendlichen Konzerte und der sportliche Rahmen dienen in jedem Fall einem Aufrütteln, Stellungnehmen und einer konkreten Unterstützung für Natur und Mensch.

Das für Ratz wichtigste Thema beginnt er in enger Zusammenarbeit mit Pro Asyl und den deutschen Flüchtlingsräten in seiner „Tour der tausend Brücken“: das Miteinander von Kulturen und Religionen, ein respektvoller und menschenwürdiger Umgang mit Notleidenden und Flüchtlingen anderen Nationen und ein klares Nein zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Ratz, der als Kind selbst den Nahostkonflikt und später den peruanischen Bürgerkrieg miterleben mußte, will nicht nur die Flüchtlingslager besuchen und deren Bewohner einladen, abends gemeinsam mit seiner Band „Strom & Wasser“ zu musizieren, er baut auch auf den Rückhalt vieler Kollegen, die bereits seine beiden anderen Triathlon-Etappen unterstützten: Konstantin Wecker war dabei, Götz Widmann, Stoppok, aber auch die Kabarettisten Bodo Wartke, Gerburg Jahnke, Jochen Malzheimer und viele mehr!

Die Rundfahrt, die am 06.01 in München beginnt und am 04.04 in München wieder endet, macht Station in fast 70 deutschen Städten.

Der Hintergrund

Wir leben in einer Welt, die bei aller theoretischer Problembekämpfung eine scheinbar sichere ist: die im Fernsehen gezeigten Kriegstoten kennen wir nicht. Die in der Zeitung abgebildeten Hungernden legen wir nach dem Frühstück zur Seite. Die im Radio gehörten Nachrichten versinken zwei Minuten später im Schlagergedudel. Wir wissen alles, aber wir spüren nichts. Und trotzdem – diese Welt ist begrenzt! Sie endet, wenn wir aus der Haustüre treten und einen obdachlosen Bettler sehen. Sie endet, wenn tausend Neonazis Parolen dreschend unter unserem Balkon entlang marschieren oder wenn unser Badeurlaub durch ölverschmierte Möwen gestört wird. Dann sehen wir die Welt plötzlich maskenlos. Natürlich weiß eine milliardenschwere Ablenkungs- und Vergnügungsindustrie uns sofort aus solchen Momenten zu retten. Sie gibt uns gleich wieder das Gefühl, diese Schrecksekunden seien eine Ausnahme, in Wirklichkeit läge die Welt gebettet im Lächeln des Wohlstands.

Denn die wirklich großen Probleme haben wir weit genug fort geschoben, weit hinter die Landesgrenzen sogar. Sie beginnen, wo Europa endet: Kriege, Folter, Seuchen, Hungersnöte, Sklaverei, Verzweiflung – das kennen wir nur in der Theorie, da beruhigen wir uns selbst mit monatlichen Spenden ans Rote Kreuz und für SOS-Kinderdörfer. Bestenfalls sitzen wir mit Freunden zusammen und diskutieren. Die Arbeit überlassen wir den Organisationen und sinken zurück in unser Halbwissen.

Dieses Verhalten erinnert mich stark an meine Krebserkrankungen, bei denen eine dunkle Vorahnung in mein eigentlich ganz glückliches Leben hineinklang. Also verdrängte ich sie. Aber sie kam immer wieder: trotz allem! Eine Katastrophe wartete. Ich ahnte es und wollte es nicht wahrhaben. Daß ich dann doch auf meine Ahnungen hörte, rettete mein Leben.

Sehr ähnlich erscheint mir unser politisches und gesellschaftliches Verhalten zurzeit und hierzulande. Es ballen sich ungeheure Bedrohungen zusammen: globale Umweltprobleme, Hungersnöte in unvorstellbarem Ausmaß, Seuchen, Kriege – Probleme allerdings, die lösbar wären, wenn wir die Nase über die Grenzen unserer Stammtische und Länder und Kulturkreise schöben, wenn wir endlich mal miteinander, statt immer nur gegeneinander arbeiten würden. Ein friedliches Miteinander der Kulturen und Religionen wäre unbedingt nötig.

Stattdessen ist zu beobachten, wie die Welt kulturell und geistig verarmt. Sprachen sterben aus. Geschichten sterben aus. Uraltes Wissen um alternative Medizin und Nahrung geht verloren. Religionen wenden einander wieder feindlich zu. Spürbar ist auch eine zunehmende Verhärtung innerhalb der Gesellschaft, die Rücksichtslosigkeit und Kalkül, seelische Kälte und elitäres Denken bevorzugt. Und daraus folgend: ein mangelndes Mitgefühl für alle „Verlierer“, seien es Völker oder Einzelpersonen. Dabei sind es eben jene Verlierer, die unser sicheres Leben ermöglichen. Jeder Urlaub, den ich mache, ist mitbezahlt mit dem Elend in der dritten Welt. Für den teuren Zweitwagen, den Flug nach Mallorca, den Flachbildschirm im Wohnzimmer, das Silvesterfeuerwerk gebe ich Geld aus, mit dem man hunderte Menschen vorm Verhungern retten oder eine Schule finanzieren könnte. Natürlich: es ist mein Geld. Ich habe dafür geschuftet. Ich kann damit tun, was ich will. Nur: in Afrika oder Indien hätte ich gar nicht die Möglichkeit, selbst mit der härtesten Arbeit, mehr als nur ein paar Dollar im Monat zu bekommen….

Ich bin sicher, die meisten von uns würden nicht mit einem Achselzucken über dieses Elend hinweggehen – könnten wir es sehen! Aber wir sehen es nicht – es ist zu weit weg von unserer Karriere, unseren Vergnügungen, unseren ganzen selbstzufriedenem Leben. Und damit es so schön weit weg bleibt, schicken wir bisweilen unsere Soldaten nach Afghanistan und Somalia und schließen für alle Notleidenden anderer Länder die Grenzen.

Was können wir tun?

Spätestens hier stellt sich die Frage: was tun? – Und sofort tönt der Chor der tausend Pessimisten: es gibt zu viele Menschen! Es gibt zu wenig Arbeit! Und überhaupt ist der Mensch schlecht und schlimm… Auf eine ungenau gestellte Frage kann man nur unbefriedigend antworten. Es liegt nicht am Können. Der Mensch kann immer, wenn er will. Diese Welt wurde so von uns gestaltet. Sie zu verändern liegt ebenfalls in unserer Macht. Die Frage muß daher lauten: was wollen wir tun? Oder umgekehrt: wie groß ist unsere Bereitschaft, das eigene Glück mit dem Leid des anderen zu erkaufen, und: wie sehr sind wir bereit, uns durch Selbsttäuschung und Lüge von dieser Tatsache ablenken zu lassen? Die Welt könnte ein Paradies sein – wenn wir es wollten! Es gibt für Kriege und Grausamkeiten, für Sklaverei und Naturzerstörung keinen einzigen notwendigen Grund. Unser Überleben hängt nicht von der Vernichtung des anderen ab.

Ich möchte versuchen, einen Anfang zu machen. Und diesen Anfang beim Allerselbstverständlichsten suchen, das ich kenne: der Gastfreundschaft!

Das Prinzip der Gastfreundschaft

Wir sind noch immer – trotz der Habgier unserer Konzerne und Politiker – ein sehr reiches Land. Und sollten den Flüchtlingen und Notleidenden anderer Länder freundlich begegnen. Wir sollten sie mit Achtung und Mitgefühl empfangen, denn sie haben oft unvorstellbare Leiden hinter sich. Und wir sollten nicht mit ihnen umgehen wie mit Kriminellen, denn welche Straftat haben sie begangen: vor Bomben fliehen? Der Folter entkommen? Ihre Kinder vorm Verhungern retten wollen? Stattdessen reißen wir gnadenlos Familien auseinander, sperren sie in Baracken und Lager, verbieten ihnen den Umgang mit der Bevölkerung, gestatten ihnen keine Bewegungsfreiheit zu, gestatten ihnen nicht, unsere Sprache zu lernen.

Wir Europäer haben mit einer gewaltigen Ignoranz und Habgier die allermeisten anderen Kulturen vernichtet oder bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, wir haben sie unterworfen und leben bis heute von der Plünderung ihrer Rohstoffe und der Unterbezahlung ihrer Arbeiter. Wir haben sie zudem so in den Würgegriff unserer Banken genommen, daß sich dort niemals eine nennenswerte wirtschaftliche Konkurrenz bilden wird. Und wenn die dadurch entstehenden Kriege und Hungersnöte einzelne von ihnen voller Verzweiflung bis an unsere Grenzen treiben, dann sperren wir sie in Lager, behandeln sie schlecht, misshandeln sie sogar und weisen sie aus – in ein Leben, das in den meisten Fällen zu Tod, Prostitution oder Verelendung führt.

Trotzdem: ich glaube, daß wir ein gastfreundliches Land sind. Ich glaube auch, daß wir aus den dunklen Kapiteln unserer Geschichte gelernt haben. Ich glaube, daß wir menschlicher handeln würden, wenn wir nicht so geblendet wären! Und deshalb möchte ich dem Thema ein Gesicht geben. Ich möchte, daß sich beide Seiten kennen- und schätzen lernen und Brücken bauen zum Herzen – der Gastgeber und der Gast. Unabhängig von Kultur, Sprache, Hautfarbe und Religion: die „Tour der tausend Brücken“.

Warum im Winter? Warum mit dem Rad?

Auch Flüchtlinge können sich nicht aussuchen, wie das Wetter sein wird. In der Regel fliehen sie mit einfachsten Gefährten, alten Bussen, Karren, Kutschen, mit dem Rad oder zu Fuß. Sie sind Kälte und Hunger ausgesetzt, sie kennen niemandem und nur wenige begegnen ihnen freundlich – sie fliehen durch ein Klima sozialer Kälte.

Konkret – So läuft es ab!

Die Aktion beginnt am 06.01.2011 mit einem Konzert in München. Dort beginnt am folgenden Morgen die eigentliche Tour. Am 07.01 gegen 10 Uhr werde ich Richtung Rosenheim aufbrechen. Ich werde nach Möglichkeit immer Umwege über Flüchtlingslager fahren, a) um den Kontakt zu den Flüchtlingen herzustellen, b) um dort Pressekonferenzen zu geben. Am Abend ist in der nächsten Stadt das Konzert, bei dem ich, wenn möglich, nicht nur Geld für die Flüchtlingsarbeit sammeln, sondern insbesondere den Umgang mit Flüchtlingen und ihre spezielle Situation thematisieren und Möglichkeiten der Hilfe und des Engagements aufzeigen möchte. Ganz wichtig ist mir auch, einen Kontakt zwischen den Bürgern der Stadt und „ihren“ Flüchtlingen herzustellen. Daher wäre es schön, wenn zum Ende des Konzerts beispielsweise alle Flüchtlinge auf die Bühne kommen und mit uns tanzen (oder diejenigen die ein Instrument spielen – mit uns spielen). Der Abend soll auch ein Kennenlernen sein, eine schöne Berührung der Kulturen.

Viele der Auftritte werden von Gastauftritten bekannter Kollegen unterstützt. Während des Konzertes werden Spenden für die Arbeit von PRO ASYL gesammelt. Am nächsten Tag werde ich mich dann wieder auf den Weg zur nächsten Stadt machen… Ausdrücklich willkommen ist jeder, der auf dieser Tour die eine oder andere Etappe mitradeln möchte!

Ich werde bei dieser letzten Aktion eng mit PRO ASYL und den deutschen Flüchtlingsräten zusammenarbeiten.

Helft Heinz helfen

Wir brauchen natürlich schon im Vorfeld etwas Hilfe. Zum Einen kostet schon die Vorbereitung erheblich: Plakate, Telefon, Flyer, Ausrüstung, geeignete Winterkleidung usw. – wenn ihr also eine spendable reiche Tante kennt oder selbst eine seid oder am letzten Wochenende beim Feiern dauernd eingeladen wurdet und noch das Biergeld in der Tasche habt oder einfach diese Aktion unterstützenswert findet:

Das Spendenkonto lautet:
Verwendungszweck: „Tausend Brücken“
Bank: Förde Sparkasse
BLZ: 21050170
Konto: 91054684

Den aktuellen Spendenstand dokumentieren wir auf einer eigenen Seite mit allen Spenden und Sponsoren.

Desweiteren brauche ich noch Hilfe bei der Organisation: Leute, die Zeit und Lust haben, e-Mails zu schreiben, Sponsoren zu suchen (um die lokalen Unkosten für die Konzerte aufzufangen, so daß wir nach Möglichkeit die Abendeinnahmen unangetastet weitergeben können), zu telefonieren usw.

Außerdem wäre es toll, wenn sich wieder so viele bereit fänden, Plakate und Flyer aufzuhängen. Oder mitzuradeln! Oder Übernachtungsplätze zu stellen.

Es wäre auch schön, wenn jemand Lust hätte, das Projekt mit der Kamera zu begleiten und zu dokumentieren…

Es ist für mich nicht möglich, das alles alleine zu bewältigen. Ich brauche da eure Unterstützung. Es wäre toll, wenn wir das gemeinsam stemmen könnten!

Es dankt und grüßt euch,
euer Heinz

Heinz Ratz - Foto: Gerhard Löhr

Heinz Ratz - Foto: Gerhard Löhr