Der Vormittag besteht aus Telefonieren und Tastaturbehämmern, denn es müssen ja sämtliche Flüchtlingsgruppen erreicht werden, um wiederum die Genehmigungen für Lagerbesuche zu erwirken. So eine Projektumstrukturierung ist ja nicht ohne weiteres möglich. Endlich habe ich das Gefühl, alles eingeleitet zu haben, um den Schwerpunkt vom Radfahren auf den Kontakt zu den Flüchtlingen zu legen und wir brechen auf – zunächst die versäumte halbe Strecke mit dem Zug, dann irgendwo an der Donau ausgestiegen und einen Radweg gesucht. Das Wetter ist kalt und bewölkt, aber kein Gegenwind, kein Regen, kein Schnee… und die Donau rauscht breit und schlammig neben uns hin. Es geht flott voran, wir machen ein gutes Tempo, werden vermutlich früher als geplant im Flüchtlingslager in Schalding ankommen – da plötzlich steigt der Weg an – steigt an und wird blankes Eis. Nur Bastis grobes Reifenprofil und meine Spikereifen greifen noch auf dem Eis und wir keuchen langsam die nie enden wollende Steigung in den Wald hinauf, Ingo stürzt sogar, Axel unser Fotograf kämpft zusätzlich mit den schweren Packtaschen – dazu kommt Nebel auf, die Waldwege verzweigen sich labyrinthisch, führen uns tiefer und tiefer in den Wald hinein… Wir versuchen eine halsbrecherische Abfahrt, die uns im Kreis zurückführt. Dann beschließe ich auf meinen Instinkt zu vertrauen – und löse helles Entsetzen aus. Aber was eigentlich im Stadtverkehr nie klappt – klappt hier im Wald. Wir kommen nach einundhalb Stunden, schon in der Dämmerung, abgekämpft aus den Schnee‐ und Eiswegen wieder in Richtung Stadt. Zum ersten Mal wird mir richtig bewusst, was für ein tolles Fahrrad ich habe! Das Flüchtlingslager ist völlig heruntergekommen, schimmlige Wände, man sieht die Versuche der Flüchtlinge, trotzdem für ein bisschen Gemütlichkeit zu sorgen, aber wie soll man ohne jedes Geld gegen eine verrottende Bausubstanz ankommen? Wir werden in ein winziges Zimmer eingeladen. Drei Betten im Kreis, ein Schrank, ein Tisch in der Mitte, die Betten werden als Sitz genutzt. Gleich wird uns Tee gebracht, man will für uns kochen. Diesmal sind es drei irakische Männer, die hier auf engstem Raum zusammenwohnen – seit drei Jahren. Wir unterhalten uns, fühlen uns wie immer hilflos angesichts ihrer Probleme und Lebensumstände, schämen uns für unser Land und die Entrechtung und Erniedrigung, die ihnen geschieht.
Schon im Dunkeln geht es weiter nach Passau. Die Altstadt empfängt uns mit ihrer Pracht, wir sind spät – schnell Soundcheck, schnell essen (lecker gekocht von der VoKü) und dann leider umsonst auf Zuschauer gewartet. Der erste wirklich enttäuschende Abend, was die Zuschauerreaktion betrifft: acht zahlende Gäste! Wären nicht die Flüchtlinge, für die wir gerne spielen, die tanzen und feiern und mit uns noch kickern hinterher… Aber es ist schon traurig: seit Oktober wissen eigentlich alle Bescheid. Flüchtlinge scheinen in Passau niemanden zu interessieren.
Immerhin zeigt sich das Kulturamt bereit, uns mit 300.‐ Euro zu unterstützen. Ansonsten bringt der Abend nur traurige 67.‐ Euro ein.