Glücklicherweise ist Samstag – und die Fahrradwerkstätten offen, zumindest eine, mehr braucht man ja nicht. Gegen Mittag ist mein Hinterrad repariert, ein paar dickere Winterhandschuhe gekauft, denn die Sonne trügt hier im Flachland: als wir kurz hinter Bayreuth auf die Räder steigen und Steigung auf Steigung folgt, klettert das Thermometer rasch tiefer und Eis und Schnee haben uns bald wieder. Dazu ein tückischer Nebel, tosende Gebirgsbäche, wenig befahrene Strassen, tiefer Wald: wir keuchen uns bis hinauf auf über 850 Meter, bis ein abschließendes Gefälle uns für die Strampelei entschädigt: mit fast 70 km/h geht es den Berg wieder hinab, eisig fährt der Fahrtwind unter die Kleider auf die verschwitzte Haut, aber herrlich, nach diesem Hauruck die Räder einfach mal gehen zu lassen. Pünktlich kommen wir in Wunsiedel an und werden von Molo erwartet. Der Gasthof, in dem wir auftreten, ist wunderschön und der Name „Ewige Baustelle“ irreführend: urgemütlich ist es hier. Wir werden toll verköstigt und dann erscheint Doro, eine alte Freundin, die vor ein paar Jahren aus Hannover hierher gezogen ist. Das Konzert selbst ist sonderbar: der hinterste Gewölberaum, in dem wir spielen, bleibt relativ leer: ein paar Jugendliche, ein paar interessierte städtische Politiker, darunter der stellvertretende Bürgermeister, der uns herzlich begrüßt und auf die Probleme der Region mit den alljährlichen großen Naziaufmärschen eingeht, ein paar Intellektuelle – aber die Masse der Besucher verteilt sich doch im Restaurant, ist neugierig, aber skeptisch, zeigt sich später, als ich mit dem Stiefel rumgehe, wenig aufgeschlossen für Flüchtlinge, spendet kaum – und nur dem tollen Engagement der Wirtin, die mich begleitet und immer wieder zum Spenden auffordert, die zudem noch einen Zuschlag auf die Bierdeckel schreibt und der Unterstützung des Bürgerforums, der 150.- Euro dazugibt, ist es zu verdanken, dass wir am Ende 575.- Euro Spenden im Stiefel haben.
Am Abend lernen wir auch einen Mann kennen, der von dem Konzert erfahren hat und aus dem nahen Flüchtlingsheim gekommen ist. Wir fragen, ob wir ihn am folgenden Morgen besuchen können und gewinnen Einblick in eine der erschreckendsten Unterkünfte überhaupt: Essensausgabe im Keller: da passen kaum zwei Männer nebeneinander. Duschen im Keller. Nur zwei funktionieren. Eine Toilette für 30 Personen. Eine Waschmaschine für 60 Personen. Seit Jahren nur zwei Gerichte, die sich öde abwechseln. Keine Chance, selbst zu kochen. Keine Chance, Deutsch zu lernen. Keine Chance auf Arbeit, auf Veränderung. Menschen, die hier mehr als 10 Jahre warten und vegetieren. Wir sind schockiert, schämen uns, fühlen uns hilflos und mitschuldig. Und ich begreife plötzlich, wie wichtig dieses Projekt ist. Wie wichtig es ist, der Bevölkerung in Deutschland mitzuteilen, was da passiert – und wie wenig das mit dem Grundgesetz zu tun hat und mit der demokratischen Grundordnung, auf die sich alle berufen! Wie hätten die Gäste gestern reagiert, die schlecht gelaunt zwanzig Cent spendeten – bei einem Abendessen, das sicher 50 Euro kostete – hätten sie hier nur eine Woche leben müssen? Sehr nachdenklich verlassen wir das Flüchtlingslager in Wunsiedel.