Es sollte ein unvergesslicher Tag werden. Neben einer groß angelegten Waschaktion von fast 25 kg Schmutzwäsche, Hotelumzug, Friseurtermin für Matthias und Rebecca, einen Haufen Organisation und Interviews war heute auch unser erster wirklich langer Besuch im Flüchtlingslager in Plauen. Eine umgestaltete Kaserne wartet auf uns, mit dem typischen Kasernencharme = 0. Wir freuen uns auf bekannte Gesichter, vor allem auf N., einen lybischen Flüchtling, der uns gestern im Tischkicker eine Lehr- und Meisterstunde gegeben hat. Zunächst werden wir von Wolfgang N. begrüßt, der sich hier im Rahmen des Eine-Welt-Vereins um die Flüchtlinge kümmert. Termin bei der Heimleitung, bei der wir darüber aufgeklärt werden, dass es nach Schließung vieler umliegender, oft katastrophaler Flüchtlingseinrichtungen in der Plauener Zentralunterkunft vergleichsweise human zugehe. Bei der Frage, ob denn zwei Arbeitskräfte genug seien für 230 Flüchtlinge – ob man sich nicht auch Dolmetscher, mehr Sozialarbeiter, vielleicht psychologische Betreuung wünsche, herrschen unterschiedliche Auffassungen: die Sozialarbeiterin seufzt, ein wenig mehr Hilfe könnte sie durchaus vertragen, es sei kaum zu bewältigen, was sie hier leisten müsse, die Heimleiterin meint, zwei Personen seien völlig ausreichend. Sie lobt die Unterkunft, erklärt Details, findet manche Gesetzgebung auch unmenschlich, z.B. dass Flüchtlinge in Plauen eben auch in Wohnungen dürften, aber die festgesetzte Maximalmiete 110.- Euro warm betrage – selbst in Plauen ein völlig unsinniger Betrag, der jede Wohnungssuche sinnlos mache. Sie spricht auch davon, dass man Flüchtlinge oft erst erziehen müsse – und sie sieht sich als „Mama“ für alle – die gelegentlich auch belohnen könne. N. zum Beispiel habe nach 10 Jahren Lagerleben ein Einzelzimmer bekommen. Später dann, in Ns Zimmer: vielleicht acht Quadratmeter, ein Feldbett, ein Schrank, kahle Wände, alte, winddurchlässige Fenster – so sieht also der Luxus im Flüchtlingsheim aus! Die vorherigen zehn Jahre hat N. in einem kaum größeren Zimmer mit zwei weiteren Männern verbracht. Während wir entsetzt den Geschichten lauschen sehe ich draußen ein paar Halbwüchsige Fußball spielen – Mazedonier, die morgen wieder abgeschoben werden – die Aufnahmequote für mazedonische und serbische Familien, meistens Roma, liegt bei 0% – es ist ein Genuß sie zu beobachten: was für Fußballer! Jeder Jugendtrainer würde nervös werden bei der Ballbeherrschung – aber halt! Wir sind im Flüchtlingsheim, da wird der Mensch ja nicht nach seinen Fähigkeiten und Werten beurteilt, sondern nach seiner Abstammung und Unwerten. Hatte ich kurz vergessen! N. hat jetzt nach 13 Jahren eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen – und auch das nur zufällig deshalb, weil man einen libyschen Geheimagenten enttarnte, der sich in das Flüchtlingslager einschleuste, um an ihn ranzukommen. Damit wurde er plötzlich glaubhaft. Damit war die Bedrohung bewiesen. Aber sonst geht man erst einmal davon aus, dass Flüchtlinge lügen – wer nicht eindeutig beweisen kann, dass er politisch verfolgt wird – wird nicht politisch verfolgt. Ich frage mich, wie man das beweisen soll? Mit Polaroidfotos von Folterungen? Mit staatlich beglaubigter Verfolgungsurkunde?
Ob er sich freue, frage ich N. – und ernte ein trauriges Lächeln. „13 Jahre!“, sagt er – und es klingt seine Zukunft darin mit: welche Arbeit soll er finden? Was soll er sagen, wenn man ihn fragt, was er die letzten Jahre gemacht hätte? 13 Jahre – ich denke nach, wie meine letzten 13 Jahre waren – freie Jahre, Jahre voll Tatendrang, Pläne, Träume, Geschichten – und ich begreife plötzlich wie sehr sie recht haben, die Flüchtlinge, wenn sie von Gefangenschaft sprechen…
Wir wollen gerade gehen, da betritt ein etwa 16 jähriger palästinensischer Junge das Zimmer, völlig verzweifelt, weil ihm gerade von vier Zahnärzten eine Behandlung verweigert wurde – kein Einzelfall, meint Wolfgang N. – die Flüchtlinge haben nur das Recht auf eine reine Schmerzbehandlung – ein entsprechender Erinnerungsbrief sei erst vor Kurzem von der sächsischen Ausländerbehörde an alle Zahnärzte geschickt worden, d.h. Zahn aufbohren ja, Zahn ziehen ja, aber Füllungen oder sonstige Behandlungen nein. – Als wir gehen, hat sich der Himmel zugezogen, ein graues, unfreundliches, trauriges Wetter herrscht – grau, unfreundlich und traurig wie das Leben im Flüchtlingsheim Plauen.