Tourtagebuch: 22.01. Cottbus – Frankfurt/Oder

Den ganzen Vormittag über telefoniere ich mir die Finger wund, um vielleicht doch noch einen Besuchstermin im Flüchtlingslager in Eisenhüttenstadt zu bekommen – nach anfänglichen Erfolgen kommt dann aber die ernüchternde Absage. Wir beschließen dennoch hinzufahren und wählen dann die schöne Strecke entlang der Oder, die deutlich Hochwasser führt, so daß man eine Ahnung von den riesigen Überschwemmungen vor ein paar Jahren bekommt. Utopia e.V. – ein unabhängige politische Gruppe in Frankfurt – hat sich mächtig engagiert und im Unigebäude eine Pressekonferenz organisiert, sogar Fachleute zu dem Thema eingeladen – die einzigen die nicht kommen sind die Medien. Von den angefragten ca. 20 zeitungen und Sendern ist kein einziger da. Natürlich deprimierend und vielsagend. Dafür ist die Veranstaltung in der garage gut besucht und eine ganz wunderbare Mischung aus intensivem Zuhören, Gesprächen, Tanz, betroffenheit, trotziger Freude. Ich lerne Josef kennen, einen querschnittsgelähmten keniatischen Mann, dessen Gesichte ich von nun an oft erzähle: vor einigen Jahren hatte er sich in eine deutsche Frau verliebt, beide wollten heiraten. Einen Tag vor ihrer Hochzeit läßt das Ausländeramt ihn rufen. Schon Übles ahnend bittet er seine Frau mitzukommen. Sie darf nicht mit ins Zimmer. Dort warten neben den Beamten der Ausländerbehörde auch zwei Polizisten. Er solle seine Sachen packen, heute noch werde man ihn zurück nach Kenia bringen. Aber morgen sei doch seine Hochzeit, sagt er. Er könne ja in Kenia heiraten, lautet die lakonische Antwort. Ob er denn wenigstens nochmal seine Frau sprechen dürfe – unter vier Augen. Auch das wird ihm verboten. Das geht ungefähr eine Viertelstunde. Immer wieder die Bitte, wenigstens mit ihr kurz sprechen zu dürfen – als sich das als aussichtslos erweiset, ist der Mann so verzweifelt, daß er aus dem Fenster springt – sechster Stock. Querschnittslähmung. Eine von vielen Flüchtlingsgeschichten – ich werde noch sehr viele sehr ähnliche hören. Eintritt: 130,- Euro, Stiefel: 100,- Euro, Sozialistischer Deutscher Studentenverband: 200,- Euro, Kulturamt Frankfurt/Oder: 300,- Euro – gesamt: 730,- Euro für Frankfurt/Oder

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