Tourauftakt: volle Konzerte, schlimme Heime, Polizei-Schikane in Lindau

Liebe Freunde,

der Tourauftakt konnte nicht besser sein: die Muffathalle in München propenvoll, Rosenheim, Lindau, Augsburg, Heidelberg – immer volle Häuser, tolle Konzerte, tolles Publikum, viel Presseberichte – der Glanz eines erfolgreichen Projekts – und dann die Schattenseite am Tag. Das Flüchtlingsheim in Sinsheim (bei Heidelberg), in dem die Flüchtlinge nicht mal genug zu Essen bekommen – 1,5 kg Fleisch pro Woche für eine neunköpfige Familie, zwei Flaschen Wasser für vier tage, 500 Gramm Reis für vier erwachsene Männer, alles verrottet, überfüllt, aussichtslos. Die Containersiedlung in Oberursel (bei Frankfurt),immerhin der reichste Landkreis Deutschlands, trostlos, schrecklich, sollte schon bei unserem letzten Besuch vor zwei jahren geschlossen werden – jetzt völlig überfüllt, dreckig, alles kaputt: Toiletten, Duschen, Küchen – und dann ein Erlebnis mit der Lindauer Polizei, das ich gerne öffentlich machen würde, denn es hat nicht nur uns betroffen, sondern bringt auch die Flüchtlinge in Lindau und Umgebung in eine schlimme Lage.

Am 02.03 auf dem Weg nach Lindau wurden wir von der bayrischen Polizei auf Baden-Würtembergischen Terrain angehalten und kontrolliert. Zu unserem großen Erstaunen ließen sie sich trotz Reisegehmigung und vorgezeigten Aufenthaltsdokumenten (Duldung) nicht davon abbringen, Sam und Nuri wegen Paßlosigkeit anzuzeigen. Höchst irritiert durch dieses Verhalten erfuhren wir von der Lindauer Flüchtlingshilfe, die ich im folgenden zitieren möchte, dass es sich um eine gängige Praxis der bayrischen Polizei handelt:

Nichts desto Trotz machte mich Ihr Bericht über die Polizeianzeigen außerordentlich betroffen.
Wie ich Ihnen schon am Telefon mitteilte passiert es vor allem in Lindau, aber auch anderswo immer wieder, dass Flüchtlinge ohne Pass von der Polizei aufgegriffen und bei der Staatsanwaltschaft angezeigt werden. Ein sehr
belastendes Beispiel hierfür ist einer unserer schwer gefolterten, traumatisierten Patienten, der regelmäßig zu exilio zur psychotherapeutischen Behandlung seiner posttraumatischen Belastungsstörung nach Lindau kommt. Er ist schwarz und wurde durch eine der besagten Kontrollen so verunsichert, dass er sich lange Zeit nicht mehr nach Lindau traute.
Die gerade gelockerte Residenzpflicht wird hierdurch durch die Hintertüre, sogar in verschärfter Weise wieder eingeführt. Denn während das Verlassen des zugewiesenen Aufenthaltsbezirks lediglich dann bestraft wurde, wenn der Flüchtling keine Erlaubnis der Ausländerbehörde hatte, wird die Anzeige wegen Passlosigkeit durch die Erlaubnis der Ausländerbehörde oder auch das Einhalten der Residenzpflicht nicht verhindert. Der Flüchtling ist nirgends sicher, nicht in der Stadt in die er zugewiesen wurde, nicht vor der Gemeinschaftsunterkunft in der er wohnt noch in seinen vier Wänden. Denn wenn er dort von der Polizei kontrolliert wird, kann er trotzdem wegen Passlosigkeit angezeigt und belangt werden.
Das bedeutet, dass der Flüchtling unbegrenzt mit Anzeigen überzogen und so kriminalisiert werden kann. Jede Anzeige führt jedoch, es sei denn das Verfahren wird durch einen humanen Staatsanwalt eingestellt, zu einem Strafbefehl. Dort ausgesprochene Tagessätze und die damit verbundene Geldstrafe muss entweder vom Flüchtling bezahlt, abgearbeitet oder pro Tagessatz, ein Tag im Gefängnis abgesessen. Um sich dagegen zu wehren kann man Einspruch einlegen, worauf hin man zu einer Gerichtsverhandlung geladen wird. Um sich von einem Anwalt vertreten zu lassen, müssen die anfallenden Kosten vom Flüchtling selbst getragen werden. Es geht letztlich jedoch nicht allein um die Strafe und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten, sondern in erster Linie darum,
dass die Tagessätze je erblicher sie sich vermehren ausländerrechtlich schlimmstenfalls zu einer „Ausweisung“ führen können. Durch die Ausweisung erlischt der Aufenthaltstitel, so dass die Ausreisepflicht eintritt. Sobald die erforderlichen Dokumente vorliegen, kann der Betroffene abgeschoben werden. Doch auch wenn es nicht so weit kommt verunmöglichen die angesammelten Tagessätze, in der Regel, sobald sie die Zahl 50 in besonderen Fällen die 80 Tagessätze überschreiten eine Aufenthaltserlaubnis aus der Altfall- oder Härtefallregelung, oder die Annahme in der Härtefallkommission.

Gisela von Maltitz, Exlio Lindau

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