Im Frühjahr 2011 besuchte ich im Rahmen meiner 1000-Brücken-Tour knapp 80 Flüchtlingslager überall in Deutschland. Erschüttert von der hoffnungslosen Situation der Flüchtlinge, von einer Rechtssprechung, die meines Erachtens nichts mehr mit Demokratie und Menschenrecht zu tun hat, von dem geistigen Stillstand, in den Flüchtlinge gezwungen werden, der Bevormundung, den unzumutbaren hygienischen Verhältnissen und der unzureichenden medizinischen Versorgung, war für mich bald klar, dass ich das Projekt trotz der erfolgreich gesammelten Spenden und der errungenen Aufmerksamkeit nicht einfach so abschließen kann. Ich wollte aus all dieser Traurigkeit noch etwas Buntes und Hoffnungsvolles schaffen. Ich hatte so viele tolle Musiker in diesen Lagern getroffen, in ihrer Heimat oft berühmt und hochgeachtet, die hier mit Reise- und Arbeitsverboten belegt, meist nicht einmal in der Lage sind, sich ein Instrument zu leisten. Der Plan war schnell gefasst – warum sie nicht unterstützen, ihre Lieder mit ihnen aufnehmen, ihnen eine Bühne geben – und all diese gefangene Musik befreien und in die Welt entlassen?! Warum nicht sogar mit ihnen auf Tour gehen, Festivals spielen, Clubkonzerte, Theater?
Wir hatten mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen – nicht nur organisatorisch – viele Flüchtlinge sind nur begrenzt telefonisch erreichbar, Internetnutzung gibt es in vielen Lagern nicht oder nur sehr eingeschränkt – und auch viele Behörden machten uns Schwierigkeiten. Für jede Reise mussten wir eine Sondergenehmigung beantragen, die den Flüchtlingen nur eine ge- nau vorgegebene Reiseroute gestattet. Polizeikontrollen führten zu Verspätungen, manches bereits gekaufte Zugticket ging verloren, weil Reisegenehmigungen dann in letzter Sekunde doch nicht erteilt wurden. Fast alle Roma, die ich im Frühjahr in den Lagern kennengelernt hatte, waren mittlerweile abgeschoben worden. In einem konkreten Fall versuchte ich mit allen Mitteln die Familie zu schützen, mit dem zynischen Endergebnis, das mir zuletzt angeboten wurde, den betreffenden Musiker doch einzustellen, allerdings müsste ich ihm ein Jahresgehalt von mind. 60.000.- Euro garantieren! In anderen Fällen hatten wir mit Ängsten und Depressionen der Musiker zu tun, leider auch mit viel biografisch bedingtem Misstrauen – vor allem Flüchtlingsfrauen sagten ab, weil sie nicht alleine nach Hamburg reisen wollten oder dem ganzen Projekt nicht trauten. Und dann die finanziellen Probleme: die Flüchtlinge haben selbst nur 40 Euro Bargeld im Monat, keine Bahncard, keine Autos – Reisekosten, Verpflegung, Hotelübernachtungen – ich war mehrfach am Verzweifeln – und bin umso dankbarer für die finanzielle Unterstützung die ich dann doch gefunden habe und für die ich danken möchte: In allererster Linie unseren tollen Strom & Wasser-Fans und den gespendeten Geldern bei Konzerten und via Banküberweisung! Dann aber auch Pro Asyl für die Übernahme vieler Fahrtkosten, der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin für die Projektförderung, der Stiftung In- terkultur für die Unterstützung bei Fahrtkosten und Unterbringung der Flüchtlinge, der Firma Ambrosius aus Potsdam für die großzügige Spende und dem Verein Armut und Gesundheit e.V. aus Mainz.
Nun kann ich sagen, dieses einzigartige Projekt wird gelingen, die fast vergessene Musik aus deutschen Flüchtlingslagern wird gehört werden – auf dieser CD, im Radio, auf vielen Festivals und Clubkonzerten.
Voilá – Strom & Wasser feat. The Refugees – viel Spaß!
Widmen wollen wir die Musik den vielen Flüchtlingen, denen irgendwann die Kraft ausging im Elend der Lager und die in ihrer Verzweiflung keinen anderen Ausweg mehr fanden, als aus dem Leben zu gehen.
Heinz Ratz, am 08.04 2012