Am 20. April 2012 hatten wir das erste Konzert mit dem Refugee-Programm, letzte Woche in Aschaffenburg konnten wir das 110te Konzert feiern – weitere 40 Konzerte folgen dieses Jahr noch – und immer öfter fragen mich die Zuschauer: wie wird es weitergehen? Ich habe mich wirklich schwer getan mit einer abschließenden Antwort. Als ich, verzweifelt über das Elend, das sich bei unserer Tour 2011 in den vielen Besuchen der Flüchtlingslager bot, mich Anfang 2012 dazu entschied, dieses nahezu unmöglich scheinende Projekt auf die Beine zu stellen, musste ich erst einmal den Lärm der gutgemeinten Ratschläge, der Zweifel, der politischen Häme, der rechtlichen Bedenken beiseite schieben, um auf die leise Stimme hören zu können, die jeder Mensch als beste Ratgeberin in seinem Tiefsten besitzt. Und sie sagte mir damals: Tu’s trotzdem!
Wenn ich jetzt davon spreche, dass wir im Dezember unser letztes Konzert mit dem Refugee-Programm geben wollen, erhebt sich ein ganzer Chor aus bedauerndem, traurigem, manchmal auch wütendem Protest. Jetzt ausgerechnet, wo das Projekt so erfolgreich sei, jetzt, da uns die politischen Gruppen so dringend bräuchten, wo die Zukunft der Refugees noch nicht dauerhaft gesichert sei, wo wir doch so viele Fans hätten. Und wieder schiebe ich den Lärm beiseite. Und wieder sagt mir mein Innerstes: Tu’s trotzdem! Denn es ist der richtige Moment…
Allen Kritikern dieses Entschlusses, vor allem den „wütenden“, die mir u.a. vorwerfen, die Flüchtlinge „im Stich“ zu lassen, sei gesagt, dass Strom & Wasser eine Band ist, sie seit vielen Jahren existiert, die sich neben einer durchaus kabarettistischen Seite immer schon politisch engagiert hat: gegen Faschismus, für Obdachlose, für Artenschutzprojekte und eben auch für eine gerechtere Flüchtlingspolitik. Seit zwei Jahren verzichten wir auf eine eigene Tour, auf eigene CD-Veröffentlichungen, um Musikern aus Flüchtlingslagern eine Bühne zu geben, haben 2013 nochmal ein Jahr und fast 120 Konzerte draufgelegt: eine Tournee, die ungeheure Strapazen für die Band bedeutete, hunderte von unbezahlten Arbeitsstunden, politischen und juristischen Ärgernissen, ein organisatorischer Kraftakt, der uns alle zwang, unsere Familien und unsere eigene Kunst zu vernachlässigen.
Wir haben es gerne getan und nie an die große Glocke gehängt, aber Flüchtlingspolitik ist eben nur eins von vielen politischen Themen, denen wir uns mit Strom & Wasser widmen wollen und außerdem ist Strom & Wasser auch keine Band, die ausschließlich Reggae und Hiphop macht, sondern ein anarchistischer Stilmix, in dem der Jazzprofessor mit der Punkerin durchaus mal einen Tango tanzen darf. Ich möchte außerdem auch darauf hinweisen, dass wir mit diesem Projekt eins sehr deutlich bewiesen haben: man kann aller menschenverachtenden Gesetzgebung und Politik zum Trotz sehr wohl etwas tun – beruflich, künstlerisch, menschlich – jeder Einzelne! Ich bin der Meinung, dass nun, zumindest in der Flüchtlingspolitik, die ganze Bevölkerung am Zug ist, um diesen angefangenen Weg weiterzugehen, den Solidaritätsgedanken aufzunehmen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten umzusetzen.
Was Kunst politisch bewirken kann – das haben wir mit diesem Projekt erreicht. Wir haben vor weit über hunderttausend Zuschauer auf den Konzerten gespielt, wir konnten Millionen über Rundfunk und Fernsehen auf die verzweifelte Situation von Flüchtlingen in Deutschland und Europa aufmerksam machen. Wir haben Menschen, die in der Gesellschaft keine Stimme haben, eine Bühne gegeben. Eine Pflanze, die im trostlosen Abseits wurzelte, die kaum Wachstumschancen hatte – hat es zu einer schönen, farbenprächtigen Blüte geschafft. Mehr ist nicht möglich. Jede Steigerung ist nur in kommerziellen Bahnen denkbar. Und da ja durchaus schon Booking-Agenturen und große Plattenfirmen ihr Interesse bekunden, sei noch gesagt: wenn ihr wirklich wollt, ihr in den Chefetagen des Musikbusiness: die Refugees sind tolle Musiker und Sänger, haben alle auch Soloprojekte, haben alle eine große Karriere verdient. Warum also nicht ihnen eine Chance geben, statt immer nur auf selbstgezüchtete Marionetten bauen? Aber Strom & Wasser ist nicht auf den Karrierestraßen unterwegs, sondern dort zu Hause, wo man die Menschen und Missstände vergisst. Und das ist nicht nur in Flüchtlingslagern der Fall.
Man hat bereits damit begonnen, uns hier und da das Projekt aus der Hand zu nehmen. Das lassen wir nicht zu. Und deshalb haben wir nochmal eine CD aufgenommen. Es ist unser Abschiedsgeschenk an die Refugees. Denn so hochgelobt die letzte CD auch gewesen sein mag – sie ist unter Aufnahme- und Arbeitsbedingungen entstanden, die mehr als abenteuerlich waren. Nun haben wir uns in den vielen Livekonzerten sehr gut kennengelernt und wir können den tollen Sängern die Musik maßgeschneidert auf die Stimmen stricken. Das hat sehr großen Spaß gemacht und wir wollen damit Danke sagen an Sam, Revelino, Jacques, Nuri, Hossain und Olga und allen Gästen für diese wunderbare Zeit mit ihnen!
Wir werden versuchen, die neue CD pünktlich zur Abschiedstournee am 21.September fertigzustellen. Sie wird bei Traumton-Records, Berlin, erscheinen. Gleichzeitig starten wir drei große Tourblöcke: neben Einzelkonzerten am 30.08 in Rostock und 31.08 in Neumünster, sowie Anfang September in Hessen werden wir auf Tour sein vom 21.09 – 02.10, sowie vom 06.11 bis 19.11 und vom 06.12 bis 17.12 – dem Abschlußkonzert im SO-36 in Berlin!
Es grüßt und freut sich auf eine tolle Abschlußtournee mit euch,
Heinz Ratz
Die Tourtermine, soweit sie schon feststehen:
30.08 REF – Rostock, Flüchtlingsheim
31.08 REF – Neumünster, Marktplatz
07.09 REF – Frankfurt, Pupille
08.09 REF – Wertheim, tba.
09.09 REF – Alsfeld, Max-Eyth-Schule
10.09 REF – Friedberg, Junity
21.09 REF – Emden, Internationales Fest
22.09 REF – Dresden, Groovestation
23.09 REF – Arnstadt, Bach-Kirche
24.09 REF – Gießen, Scarabee
25.09 REF – Konstanz, K9
26.09 REF – Ravensburg, Zehntscheuer
27.09 REF – Schweinfurt, Stadtbahnhof
28.09 REF – Landshut, Alte Kaserne
29.09 REF – Neustadt a.d. Weinstrasse
30.09 REF – Essen, tba.
01.10 REF – Greifswald, E-Werk
02.10 REF – Bad Oldesloe, Theodor-Mommsen-Schule
08.11 REF – Friedrichshafen, Seekult-Festival
09.11 REF – Murnau, Westtorhalle
13.11 REF – Berlin, Fichte-Gymnasium
14.11 REF – Frankfurt/Oder, Kleistforum
15.11 REF – Platenlaase, Cafe Grenzbereich
17.11 REF – Leipzig, Nato
19.11 REF – Berlin, Wabe
17.12 REF – Berlin, SO-36